Grundlagen

Was zum Geier machen Wissenschaftler in ihren Laboren? Teil 1

By on 18. November 2016

Optimale, natürliche und Labor-Bedingungen

Das Optimum

Jedes Lebewesen hat seine eigene Vorstellung einer perfekten Umgebung. Für mich wäre das: blauer Himmel mit ein paar Schäfchenwolken, 25° Grad, eine Hängematte unter einem schattigen Baum, das Rauschen, der Anblick und Geruch des Meeres, ein kühles Getränk in der einen und ein gutes Buch in der anderen Hand. Unter diesen nennen wir sie „optimalen“ Bedingungen bin ich absolut entspannt. Alles in mir arbeitet normal: mein Herz schlägt gleichmäßig, mein Geist ist ruhig, meine Muskeln sind entspannt. Ich bin ein gesundes Individuum unter optimalen Bedingungen. Für den früher erwähnten Brotschimmel wäre diese optimale Bedingung ein feuchter Brotlaib, der von seinem menschlichen Besitzer (möglichst in einer geschlossenen Umgebung wie eine Tüte) in Ruhe gelassen wird. Der Pilz gedeiht!

Leider bekommen wir nicht immer das Optimum: die natürlichen Bedingungen

Ein anderes Beispiel: Fast jeder, der einen Garten besitzt züchtet bereits seine eigene Pilzkultur in seinem Kompost (nicht verzweifeln es geht auch ohne Kompost, es gibt ja schließlich noch die Biotonne!) Biologischer Abfall ist das natürliche Zuhause des Schimmelpilzes, mit dem ich arbeite, Aspergillus (auch Gießkannenschimmel genant). Die kulinarische Vielfalt in einem Komposthaufen ist die Hängematte unter dem Baum für Aspergillus: Nahrung im Überfluss (mit regelmäßigem Nachschlag), Wärme und Feuchtigkeit. Allerdings gibt es einen Haken, Aspergillus ist nicht der einzige, der sich an dem Festmahl genüsslich tut. Bakterien, andere Pilze, Würmer, Käfer und Fliegen versuchen sich ihren Teil vom Kuchen zu sichern. Das ist die Natur einer so reichhaltigen Nische, sie ist auch äußerst umkämpft. Und da kommt die Evolution und das Darwinistische Prinzip des Stärkeren ins Spiel. Diejenigen, die Wege und Mittel haben andere auf Abstand zu halten werden ihnen überlegen sein. Unser Freund Aspergillus ist aus einem Grund einer der besten Abfallverwerter. Er kann schwere Geschütze auffahren – Naturprodukte (so wie Penicillin), die sich als sehr wirksam gezeigt haben. Trotzdem glauben einige Wissenschaftler (wie ich), dass diese Substanzen nicht nur andere töten oder am Wachstum hindern sollen, sondern, je nach Konzentration, ihnen schlicht mitteilen soll – ich bin da (ein ganzer Post wird noch zu diesem faszinierenden Thema kommen!).

Wissenschaftler brauchen Standardisierung – und bezahlen einen Preis dafür: Die Laborbedingungen

Das sind also die natürlichen Bedingungen für Aspergillus, aber was hat das mit unserer Arbeit im Labor zu tun? Wenn ich Aspergillus im Labor kultiviere, setze ich dafür nicht erst einen Komposthaufen an (aus mehreren Gründen, von denen nur einer der eigentümliche Geruch ist) sondern bereite ein definiertes Kultivierungsmedium zu. Dieses ist standardisiert und daher weiß ich genau was der Pilz zu essen bekommt. Das ist ein großer Vorteil, wenn ich möchte, dass der Pilz immer gleich wächst; als Bonus kann ich außerdem einzelne Bestandteile zugeben oder wegnehmen und den Effekt beobachten.  asp-plate2

Ein großer Nachteil dieser Methode ist, dass sie unnatürlich ist. In einem Komposthaufen sieht sich der Pilz immer wieder Temperaturschwankungen, dramatischen Änderungen der Lichtverhältnisse und natürlich gefräßigen Feinden ausgesetzt. Die Laborbedingungen auf der anderen Seite sind so gleichbleibend, dass der Pilz faul wird (so als würde ich in meiner Hängematte ein Nickerchen machen). Was bedeutet das? Wissenschaftler haben Hunderte Gene gefunden, die wahrscheinlich in mehreren Produktionsketten für Naturstoffe mitwirken, die noch vollständig unbekannt sind. Das Problem ist: wenn wir den Pilz im Labor kultivieren, schaltet er viele dieser Produktionsketten aus (in der Genetik nennen wir das „silenced“ (dt. ruhig stellen)) – sehr wahrscheinlich, weil er diese Stoffe einfach nicht benötigt.

Wie können wir diese Bedinungen ausnutzen, um neue Stoffe zu entdecken?

Also, was kann man tun? Man könnte diese Bedingungen verändern, mit anderen Worten: den Pilz unter Stress setzen! Stress trifft jeden. Genauso wie manch einer nervös wird und in Schweiß ausbricht, reagieren auch Pilze indem sie ihre eigene Art von Schweiß ausschütten – sie produzieren Stoffe, die dann in einigen Fällen sogar sichtbar werden, wie Wissenschaftler aus Göttingen herausgefunden haben. (Falls du dich wunderst: eine Stressreaktion und Selbstverteidigung können bei einem Pilz tatsächlich ein und dasselbe sein!)

 

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Entnommen aus: Gerke et al., 2012. Breaking the Silence: protein stabilization uncovers silenced biosynthetic gene clusters in the fungus Aspergillus nidulans

Zufriedener Aspergillus

Und wer kann es ihm verübeln? Wenn es plötzlich anfangen würde stark zu regnen, während ich in meiner Hängematte liege, würde ich auf jeden Fall anfangen zu laufen. Vieles in meinem Körper würde sich mit dem dramatisch ansteigenden Adrenalinlevel verändern. Der Pilz kann natürlich nicht weglaufen, aber er kann seinen Metabolismus ändern! Diese Änderungen haben einen Einfluss darauf, wie die DNA abgelesen wird und schließlich auch auf deren Produkte, die Proteine. Und genau das wollen wir messen. Wir sammeln dafür DNA (oder genauer gesagt RNA) und die Proteine, und zwar möglichst alle, eines Pilzes unter Stressbedingungen und vergleichen diesen dann mit einem zufriedenen Pilz (also, ich wie ich durch tropische Regenschauer laufe gegenüber ich wie ich in meiner Hängematte liege. Oder: Aspergillus wie er von einem hungrigen Wurm angeknabbert wird gegenüber Aspergillus wie er sich genüsslich durch einen Haufen von Bioäpfeln kaut.).

Und wenn wir jetzt feststellen, dass eine oder mehrere der Produktionsketten (deren Gene und Proteine) für Naturstoffe angeschaltet wurden (wird sich zunächst unser Metabolismus ändern, weil wir uns wie verrückt freuen), können wir beginnen die optimalen Stressbedingungen (!) zu erkunden, um herauszufinden, ob der Pilz den gewünschten Stoff tatsächlich herstellt.

 

 

 

 

 

 

 

 

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18. November 2016

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